AM27 – Brief an Walter Gropius
Toblach, Samstag, 3. September 1910
Samstag
Mein über alles Geliebter
Endlich bin ich allein! ist heute um 1h nach München abgefahren. – Die ganze Zeit (verreist war er nur 2–3 Tage –) war er immer um mich. In der Nacht war die Thüre unsrer Schlafzimmer offen. – Ich konnte Dir also nicht einmal in der Nacht schreiben. Ich war verzweifelt. Heute[,] nachdem er weg war – lief ich zur Post und fand ein ganzes Packet Briefe. Mein , glaub – an mich und meine Liebe. Auch ich bin meiner ganz sicher!! – Ich bin liebe Dich heute wie am ersten Tag.
Was hast Du an Liebe alles für mich gethan – in diesen Tagen! – – Die wunderbaren Kragenideen. Ich werde sie alle machen. – 3 davon [Skizze] sind besonders famos – die mach’ ich zuerst. – Und wie rührt mich alles, weil es aus Deinen Händen kommt. – Die habe ich schon gelesen – freue mich aber unendlich[,] sie jetzt wieder zu lesen. – – lieb und bedacht von Dir – wie alles . . . .
Ich werde gleich daran gehen – ihn durchzulesen. – Meiner – ich weiß gar nicht – warum
ich immer wieder bitten muss – bleibe – ich habe so ein instinctifes [!] Gefühl, dass es zu unserm Glück ist – und ich weiß nicht einmal – – warum – zu welchem Ende?
— Ich liebe Dich! Manchmal weiß ich, dass ich ein Narr bin – auf in einem Boden zu bleiben, in dem ich nicht wurzle – indem mich eigentlich nichts hält, als die Liebe des andern zu mir. ist verrückt – noch immer. – Und ich fürchte – er wird es bleiben. Als ich ihn heute per Wagen hinunter brachte und wir durch die jungen Tannen fuhren – weinte er fast –
und er sagte, er habe sich so gefürchtet, dass er da allein werde weggehen müssen – und ich – wäre einem Andern gefolgt. Er hofft, dass die Zeit Dein liebes Bild verblasse! Welche Zeiträume wären das im Stande!!! – Er weiß – dass er ohne mich nicht leben kann. Ich weiß, dass ich ihn verehre und behüten will – aber Dich allein liebe. Wie ist uns zu helfen!? – Ich träume nur von Deiner Schönheit!! Nicht nur von Deiner Leiblichkeit – die ich ja so über alles – alles – liebe[.] —
– Geliebter – weißt Du noch, wie ich Dich ausgetrunken habe – ?
Ich sehne mich! —
Ich bin verrückt vor Sehnen. – Ich kanns mir kaum vorstellen, dass das unfassbare Glück Dich erneuerte – ich in Deinen Armen die Welt vergessen dürfte[.] – Wie lieb u. schön bist Du immer in meinem Bett gelegen – alles – alles war mir geadelt. – Deine Hände – Schlüssel zu unsrer Wollust – einmal nur – Du hast mehr für mich gethan als meine – sie hat mir das
Leben gegeben – ich verstand es nicht – Du hast es mir zum 2ten mal gegeben, denn durch Dich erst war es mir verständlich u. lebenswert. – ich kann Dir im Moment noch nichts über München schreiben – so lange da war, konnten wir nicht überlegen, da sehr elend war, (dasselbe wie & M.[iss] ) u. immer bei uns war. Heute Abend schreibe ich weiter. Ich werde alles thun – um Dich endlich[,] endlich wieder zu sehen – denn ich liebe Dich ja ewig[.]
Dein Weib
Mein – ich schreibe weiter. Heute habe ich ein Fest. Deine Aktzeichnungen[,] Deine Briefe – Deine Bilder [–] die Kragerln – ach das wenige – das ich von Dir bei mir habe \ist um mich/. Ich bin im Wohnzimmer – das Fenster offen – draußen die Wiese – im hellen Grün – die Berge weiß – blauer Himmel – es ist so einzig schön hier – ich kann nicht dran denken[,] weg zu gehen. – Ich reise Montag oder Dienstag Mittag mit dem Mittagszug – mit dem Du mir davon fuhrst. – Ich werde Mittwoch nicht wohl sein und möchte da schon in München sein. —
Was soll ich beginnen, Dich zu sehen! Ich will alles berathen. Ich muss Dich sehen – muss eine Wegzehrung haben für mein späteres Leben[.] –
Oder aber – wenn es nicht geht[,] \absolut nicht geht/ – dann warten wir bis zum Frühjahr – da habe ich dann alle Chancen – ich werde wahrscheinlich ein bischen früher nach Europa kommen. Und dann – aber bis dahin bist Du nicht mehr der Meine – – ?
Die Jugend – Du – wirst Du die Kraft u. Stärke haben – unter allen Umständen auf mich zu warten?
[linker Rand:] [. . .]
Apparat
Überlieferung
, , , , , , , .
Quellenbeschreibung
4 Bl. (8 b. S.) – Briefpapier, Blattzählung AMs (Editionsrichtlinien) (, , , ).
Beilagen
Umschlag, , – Neubabelsberg bei Berlin | Stahnsdorferstraße 83 | Herrn Walter Gropius; PSt. (lt. , S. 531, Nr. 112): TOBLACH 2 | 3 | 9 | 7 A | 10 | c; von WG mit einer 14 versehen (Zur Nummerierung von Alma Mahlers Briefumschlägen); fremdschr. Datierungsversuch nach Übergabe an : „Toblach 3.9.10“.
Druck
, S. 116, Anm. 112 und 118 sowie , S. 50, Anm. 157, S. 51 und Anm. 163 (partielle Inhaltsangabe), , S. 931, bei Anm. 500 (Auszug in engl., teils ungekennzeichnet lückenhafter Übersetzung).
Korrespondenzstellen
Antwort auf WG58 vom spätestens 31. August 1910 (Der herrliche Roman von St[endhal] den ich Dir sende nachdem ich ihn in diesen Tagen las, wird auch Dich erschüttern): Die Kart[ause] v.[on] P.[arma] habe ich schon gelesen – freue mich aber unendlich[,] sie jetzt wieder zu lesen, WG59 vom 31. August und 1. September 1910 (Da G.[ustav] fort war hättest Du vermutlich Zeit zum Schreiben gehabt): Endlich bin ich allein! Gustav ist heute um 1h nach München abgefahren. – Die ganze Zeit (verreist war er nur 2–3 Tage –) war er immer um mich, WG63 vom 2. September 1910 (Gusta.[v] kann nicht anders handeln es verlangt von ihm die Klugheit u sein Herz so. Die Nähe ist so gebieterisch viel gewaltiger, wie das geschriebene Wort, darum ist er mir überlegen): Als ich ihn heute per Wagen hinunter brachte […] weinte er fast – und er sagte, er habe sich so gefürchtet, dass er da allein werde weggehen müssen […]. Ich weiß, dass ich ihn verehre und behüten will – aber Dich allein liebe und WG64 vom 2. September 1910 (Wie weit ging Dein Versprechen bei ihm zu bleiben […]. Sieh zu, daß Du mich nicht zu sehr liebst!? Nur sinnliche Leidenschaft?): Er weiß – dass er ohne mich nicht leben kann. Ich weiß, dass ich ihn verehre und behüten will – aber Dich allein liebe. […] Ich träume nur von Deiner Schönheit!! Nicht nur von Deiner Leiblichkeit. Beantwortet durch WG65 vom 5. September 1910 (mein Weib): Dein Weib Alma.
Datierung
Schreib- und Absendedatum: „3.9.1910“ (, S. 116, Anm. 112 und 118 sowie , S. 50, Anm. 157, S. 51, Anm. 163 und S. 309), Übernahme dieser Datierung bei , S. 931, Anm. 500.
Datiert durch AM und Poststempel: Samstag, 3. September 1910.
Übertragung/Mitarbeit
(Manuel Tietz)
(Bettina Schuster)
um 1h nach München – zu den Endproben zur Uraufführung der von am 12. September 1910, Abfahrt um 12.57 Uhr, s. Mittagszug.
verreist war er nur 2–3 Tage – war am 25. August 1910 nach Leiden in die Niederlande gefahren, um sich vom Psychoanalytiker behandeln zu lassen. Am 27. August 1910 trat die Heimreise an – tatsächlich war er 3–4 Tage verreist, vgl. die zahlreichen Telegramme und Briefe an zu dieser Zeit ( 330–338, S. 449–452).
Die Kart.[ause] v.[on] P.[arma] – Roman von . In Bibliothek standen beide Bände des durch übersetzten französischen Originals (1839) in der zweiten Auflage von 1906 aus dem Verlag in Jena. Der zweite Band wurde mit einer Widmung versehen: „Auch ein Roman zum 31.8.10 Walter“ (, S. 99).
Brahms […] durchzulesen – Vorhaben weist auf ein Partiturlesen hin, s. WG62 vom 1. September 1910: deutsche Requiem […] Partitur.
hinunter – vom Trenkerhof (Altschluderbach) nach Toblach.
dasselbe wie G.[ustav] & M.[iss] M.[aud] – hatte und mit Angina angesteckt, s. AM24 vom 23. August 1910.
Aktzeichnungen – s. WG21 vom 27. bis 31. Juli 1910: Aktaufnahmen.
Kragerln – Verniedlichungsform für Kragen, s. WG58 vom spätestens 31. August 1910: unendliche Variationen möglich.
Mittagszug – laut Fahrplan 12.57 Uhr Richtung Franzensfeste (, Fahrplannummer 312).
Ursprünglich: Schan[cen].
nach Europa kommen – aus den USA.
Unleserlich durchgestrichen, Anzahl der Wörter und Buchstaben nicht erkennbar.